Achtsamkeit bei Tinnitus

Tinnitus zeigt viele Parallelen zu Schmerzen, bei denen Achtsamkeit, z.B. in Form des MBSR-Programms nachweisbar hilft.

  • Tinnitus ist – unabhängig von seiner Ursache – ein unwillkürliches, nicht kontrollierbares Symptom,
  • er zieht die Aufmerksamkeit auf sich, wird als störend und einschränkend erlebt,
  • er löst unheilsame Gedankenketten aus wie “das wird nie aufhören”,
  • er verursacht Leiden auch indem der Kampf gegen ihn in vielen Fällen erfolglos scheint.

Wie bei Schmerz bringt allein schon eine Änderung der Haltung gegenüber dem Symptom im Sinne der Achtsamkeit deutliche Linderung.

Zur Anwendung von Achtsamkeit bei Tinnitus sollen die Arbeiten zweier Arbeitsgruppen erwähnt werden. Eine Gruppe um Jenifer Gans (2013) modifizierte in Kalifornien das MBSR-Programm und entwickelte die Mindfulness Based Tinnitus Stress Reduction (MBTSR), die andere um Hugo Hesser in Schweden setzt die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) ein. Im MBTSR-Programm wurden die Teilnehmer ausdrücklich dazu ermutigt, das Ziel loszulassen, den Tinnitus zu reduzieren. Das Ziel war vielmehr das Verhältnis zum Tinnitus zu verändern, der Kampf gegen das Ohrgeräusch sollte von einer akzeptierenden Haltung abgelöst werden. Dieses Ziel wurde erreicht, negative Folgen nahmen signifikant ab. Eine wesentliche Übung bestand darin, sich dem Geräusch mit zärtlicher Neugier zuzuwenden, anstatt auf die gewohnte Weise. Ein Teilnehmer beschreibt, dass ihm der Kurs eine Panikattacke erspart hätte. Aufgrund eines Stromausfalls war der Tongenerator ausgefallen, der ihn normalerweise zum Einschlafen mit weißem Rauschen versorgte. Vor dem Kurs hätte ihn die äußere Stille in Panik versetzt.

Zu den Wirkmechanismen ist die Studie von Hesser (2009) aufschlussreich. In Videoaufzeichnungen der Sitzungen wurden jene Aussagen gezählt, die auf kognitive Defusion und Akzeptanz hinwiesen. Die Zahl dieser Aussagen der Klienten in der zweiten Stunde waren Prädiktoren für die Symptomverbesserung nach 6 Monaten. Jenifer Gans hebt einen potentiellen Mechanismus besonders hervor: den Austausch in der Gruppe über ein gemeinsames Problem und die gegenseitige Unterstützung.

Link

  • Praxis für integrative und achtsamkeitsbasierte HNO [Piahno]

Literatur

  • Gans, JJ (2010) Mindfulness-Based Tinnitus Therapy is an Approach with ancient Roots. [pdf-download]
  • In einer Pilotstudie nahmen acht Patienten mit chronischem Tinnitus an einem achtwöchigen MBTSR-Programm (Mindfulness Based Tinnitus Stress Reduction) teil. In der quantitativen und qualitativen Erhebung nach dem Programm erzählten die Teilnehmer davon, dass der Tinnitus nicht mehr so schrecklich sei, dass es möglich sei, ihn wahrzunehmen, ohne ihn zu bewerten und dass er jetzt einfach da sein dürfe. Depression und Angst nahmen ab und die Wahrnehmung des Körpers veränderte sich. Dieser bedürfe der Fürsorge und Liebe. In: Gans, JJ, Sullivan PO & Bircheff V (2013) Mindfulness Based Tinnitus Stress Reduction Pilot Study. A Symptom Perception-Shift Program [CrossRef] [pdf-download]
  • Jenifer Gans auf Video [Video bei Vimeo]
  • Jenifer Gans MBTR [Video auf Youtube]
  • Hesser, H (2013) Tinnitus in Context. A Contemporary Contextual Behavioral Approach. [pdf-download]
  • Philippot, P et al (2011) A Randomized Controlled Trial of Mindfulness-Based Cognitive Therapy for Treating Tinnitus. [CrossRef]
  • Hesser, H et al (2009)  Clients’ in-session acceptance and cognitive defusion behaviors in acceptance-based treatment of tinnitus distress. [CrossRef] [pdf-download]
  • Praxis für integrative und achtsamkeitsbasierte HNO [Forschungsergebnisse]
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