Achtsamkeit bei Aufmerksamkeits-Hyperaktivitäts-Defizit-Syndrom

Die kalifornische Psychiaterin Lidia Zylowska (2014) stieß zunächst oft auf Unverständnis, wenn sie erklärte, dass sie gerade jene Menschen, die sich wohl am schwersten damit tun, ruhig zu sitzen und sich auf eine Sache zu konzentrieren genau dazu bringen wollte: still sitzend zu meditieren und sich auf den Atem zu konzentrieren. Auf „ADHS-freundliche Weise“ führt sie in ihrem Programm (2012) Erwachsene in kleinen Schritten zu modifizierten Übungen, die im Wesentlichen dem MBSR-Programm entlehnt sind. Der Bodyscan dauert beispielsweise statt 45 nur 12 Minuten und es gibt aktive Formen der Meditation wie etwa eine in drei Phasen: Schütteln, Tanzen und abschließend still stehen, sitzen oder liegen. Neben der STOP-Übung führt sie die RAIN-Übung ein:

  • R für Recognize (Erkenne)
  • A für Accept (Akzeptiere, erkenne als Realität an)
  • I für Investigate (Erforsche)
  • N für Non-Identify (Nicht-Identifizieren).

Die vier RAIN-Schritte empfiehlt sie dann, wenn es nicht gelingt, die Gedanken wie Wolken auf einem blauen Himmel dahinziehen und sich auflösen zu lassen, sondern sie sich wie dunkle Regenwolken nicht vertreiben lassen. Die Übung benennt auch die Wirkfaktoren, der Achtsamkeit, die in dem Programm zum Tragen kommen. Bewusste Aufmerksamkeitslenkung wird beispielsweise insofern eingesetzt, indem die mit der Ruhelosigkeit verbundenen Empfindungen, Gefühle und Gedanken in den Fokus genommen, beobachtet und benannt werden und das in einer Pendelbewegung des Aufmerksamkeitsscheinwerfers abwechselnd mit dem Fokus auf Angenehmes wie Ruhe.

ADHS steht der Achtsamkeit keineswegs in allen Dimensionen als Gegenatz gegenüber. Zylowska beschreibt, dass gerade die Dimension der offenen Neugier bei vielen Menchen, die unter ADHS leiden, in hohem Maße ausgeprägt ist. Die Fazination von Neuem trägt allerdings wohl auch dazu bei, dass es ihnen schwer fällt, bei einer Sache zu verweilen und eine einmal gefasste Absicht auch konsequent umzusetzen. ADHS-Patienten wüssten sehr wohl, was sie tun sollten, sie sind nur nicht in der Lage, es durchzuziehen. Achtsamkeit kann dabei helfen auch im Handeln dabei zu bleiben und sich immer wieder an die ursprüngliche Absicht zu erinnern, wie „ich wollte den Schreibtisch aufräumen“. Hier bezieht Zylowska die für die Menschen bedeutsamen Werte mit ein. Sie zu vergegenwärtigen kann dazu motivieren, Unlust leichter zu ertragen und bei etwas dabei zu bleiben. Das Programm integriert auch Übungen zur Förderung des Selbst-Mitgefühls, was gerade bei dem kritischen Verhältnis, das ADHS-Patienten zu sich selbst und ihrem meist überforderten ruhelosen Körper haben, hilfreich sein kann.

Weiterführende Literatur

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