Achtsamkeit in der Teilearbeit

Eine weitere Möglichkeit, der Kombination von Achtsamkeit und Hypnose ist ihr Einsatz in der Teilearbeit. Hier dazu ein Abschnitt aus “Hypnose und Achtsamkeit in der Psychoonkologie” (Harrer/Ebell 2021, S 180-183).

Teilearbeit entwickelte sich aus der Hypnose. Für viele Hypnotherapeuten ist sie zu einem wichtigen Bestandteil ihres Vorgehens geworden. Auch dabei kann eine Achtsamkeitspraxis bereichern, indem sie analog zur Aufmerksamkeitslenkung im Alltag ein Metabewusstsein darüber kultiviert, welcher Persönlichkeitsanteil im jeweiligen Augenblick aktiviert ist, und ob das heilsam ist und hilft.

Wenn Menschen erzählen, dass sie unterschiedliche Seiten an sich wahrnehmen, von wechselnden Zuständen berichten oder das Gefühl haben, sich selbst nicht mehr zu kennen, bietet es sich an, diese Erfahrung als „normal“ einzuordnen, indem man ihnen das Modell der inneren Vielfalt von Persönlichkeitsanteilen vermittelt. Denn so sind die Menschen. In der Therapiestunde könnte der Therapeut dann fragen:

  • „Wer in Ihnen ist es, der so fühlt, der so denkt oder der das glaubt?“
  • Oder: „Wie können wir den Teil nennen, der manchmal so verzweifelt ist?“
  • Oder: „Gibt es irgendwo auch einen optimistischen Anteil, und welchen Namen sollen wir dem geben?“

Das gemeinsame Erstellen einer “Teilelandkarte” als Bestandsaufnahme der beobachtbaren und abgrenzbaren Zustände fördert die Disidentifikation von den einzelnen Anteilen. Hausaufgabe könnte dann sein zu beobachten, welche Teile sich im Alltag sonst noch melden. Man kann sich auch auf die Suche nach Anteilen machen, die alte Sehnsüchte verwirklichen und die lange verschüttet waren.

Wenn Patienten danach fragen, wozu das dienen soll, kann man ihnen die Geschichte von den zwei Wölfen erzählen:

Ein weiser, alter Indianer sitzt mit seinem Enkel vor dem Zelt am Lagerfeuer und lässt seinen Blick in die Ferne schweifen. Auf die Frage nach dem Wesen der Menschen beschreibt der Großvater, dass in jeder Nacht im Herzen aller Menschen ein schwarzer und ein weißer Wolf miteinander kämpfen. Auf die unmittelbar folgende ängstliche Frage des Enkels, welcher von den beiden gewinne, antwortet er: Der, den du mehr fütterst.

Nachdem man diese Geschichte erzählt hat, liegt die Überlegung nahe, welchen Wolf der Patient in nächster Zeit gerne füttern möchte und was diesen Wolf stärken würde. Der innere Beobachter ist jene Instanz, die darüber wacht, welche Anteile jeweils im Vordergrund stehen. Die Achtsamkeit würde dabei helfen, sich immer wieder an die Intention der „Fütterung“ bestimmter Anteile zu erinnern und ihnen die entsprechende Aufmerksamkeit schenken. Man könnte dann Kontexte aufsuchen, in denen diese Anteile willkommen und leichter ins Leben zu rufen sind, könnte eine bestimmte Musik spielen, eine bestimmte Körperhaltung einnehmen oder sich etwas Bestimmtes vorstellen. Alles, was als Anker zur Aktivierung dieser Persönlichkeitsanteile führt, kann genutzt werden. Der innere Beobachter der Achtsamkeit kann im Alltag dabei unterstützen zu bemerken, welcher Persönlichkeitsanteil gerade aktiviert ist, und ihm durch die Disidentifikation seine Macht entziehen. Das Erinnern daran, was heilsam ist und hilft, kann in

Bezug auf die Persönlichkeitsanteile dabei unterstützen zu prüfen, ob das jener Anteil ist, den man in dieser Situation „füttern will“, und gegebenenfalls Anteile einladen, die angemessen und heilsam sind.

Beim Erleben der inneren Vielfalt der Persönlichkeitsanteile fragen sich manche Menschen: Wer bin ich denn nun wirklich? Orientierung bietet die Analogie zu einem authentischen Chamäleon. Wenn es gelb ist, ist es wirklich gelb. Wenn es grün ist, ist es wirklich grün. Zu seinem wahren Wesen gehört aber: Es kann die Farbe wechseln. Wir wissen nicht, ob das Chamäleon einen inneren Beobachter entwickeln kann. Menschen verfügen über diese Fähigkeit. Der Beobachter wäre beim Chamäleon das, was bei wechselnder Farbe konstant bleibt. Sich mit dem inneren Beobachter zu identifizieren gibt Halt.

Letztlich gilt es, auch das Hilfskonstrukt des inneren Beobachters wieder loszulassen. In der Analogie zum Himmel können wir unsere Identifikation mit den vorbeiziehenden Wolken erkennen und diese immer wieder loslassen. Wir können uns an die Weite des Himmels erinnern, die in buddhistischen Traditionen mit der Weite unseres Bewusstseins („spaciousness“), mit unserer wahren Natur, verglichen wird. Erfahrungen in diese Richtung führen in transpersonale Sphären, die zu erreichen primär kein Ziel von Psychotherapie darstellt. Wenn transpersonale Erfahrungen allerdings spontan auftreten, gilt es, sie willkommen zu heißen und Patienten dabei zu unterstützen, sie auf konstruktive Weise in ihr Selbstbild zu integrieren (Harrer/Ebell 2021, S 180-183).

Es gibt viele Möglichkeiten mit Persönlichkeitsanteilen zu arbeiten. Einige davon sind in einem Beitrag zur “inneren Vielfalt” (Harrer 2022) dargestellt.

Andere Möglichkeiten finden sich in der Arbeit mit Stühlen (Chairwork). Eine Variante davon ist “compassion based chairwork”, etwa zur Entwicklung eines mitfühlenden inneren Supervisors im Rahmen von Psychotherapieausbildungen. Auf der Website von Matthew Pugh and Tobyn Bell finden sich viele spannende Anregungen dazu. Sie beschreiben die Pfeiler, auf denen ihre Arbeit ruht folgendermaßen:

The ‘pillars’ of chairwork relate to its principles, processes, procedures, and process-based skills. These are drawn from a wide variety of psychotherapeutic approaches including Psychodrama, Gestalt Therapy, Emotion Focused Therapy, Voice Dialogue, Ego State Therapy, Schema Therapy, Cognitive Behavioural Therapy, Motivational Interviewing, Acceptance and Commitment Therapy, and many others.

https://chairwork.co.uk/resources/

Quellen zu unterschiedlichen Formen der Teilearbeit

Links zu unterschiedlichen Formen von Teilearbeit

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